Täter und Opfer – Schreiben zusammen ein Buch?!
Thordis Elva hat ein Buch mit dem Mann geschrieben, der sie vergewaltigt hat. Damit geht sie wohl in die Geschichte ein.
Vor über 20 Jahren hat der Australier Tom Stranger die Isländerin Thordis Elva vergewaltigt. Jetzt fahren sie gemeinsam um die Welt, was sehr ungewöhnlich ist, denn eine Zusammenarbeit zwischen Opfer und Täter ist höchst ungewöhnlich und gehört eigentlich nicht zur Arbeit von Autoren.
Thordis Vorstellungen eines Vergewaltigers waren geprägt von Filmen und Erzählungen. Dass sie Opfer eines solchen Delikts wurde, ist ihr erst nach und nach klar geworden.
1996. Der damals 18-jährige Austauschschüler Tom Stranger war zur Zeit ihr Freund. Bei einem Schulball trinkt sie zu viel, hat vermutlich eine Alkoholvergiftung. Er bringt sie nach Hause, legt sie ins Bett und hat zwei Stunden lang gegen ihren Willen Sex mit ihr. Am nächsten Tag macht er mit ihr Schluss und fliegt später wieder nach Australien. Sie braucht etwa zwei Jahre, um genau zu begreifen, was in dieser Nacht passiert ist.
Mit dieser Last auf ihren Schultern konnte sie kaum umgehen, schrieb deshalb 2005 einen Brief an ihren Ex-Freund, gleichzeitig Täter. Die Überraschung? Eine Antwort erreichte sie, mit der Einwilligung, alles zu tun, um mit den Geschehen umgehen zu können. Es ist der Anfang eines langjährigen Mailaustauschs, der mit einem Treffen in Kapstadt endete.
Doch wozu diese Tortur über sich ergehen zu lassen?
Den Feldversuch zu dieser Forderung liefern Elva und Stranger in ihrem Buch Ich will dir in die Augen sehen. Es ist die Geschichte einer Konfrontation, eines Treffens in Kapstadt, 20 Jahre nach der Tat. Die Zusammenarbeit der beiden hat für einige Aufregung gesorgt. In England musste eine Podiumsdiskussion auf einem Frauenfestival verschoben werden, weil Aktivistinnen gegen den Auftritt protestierten und eine Petition starteten. Der Vorwurf: Hier werde einem Sexualverbrecher eine Bühne geboten – mehr noch, ihm werde die Möglichkeit gegeben, an öffentlichem Ansehen zu gewinnen, indem er sich als eine Art einsichtiger Vergewaltiger inszeniere.
Doch das Buch sollte dazu dienen, aufzuklären.
Auch wenn Ich will dir in die Augen sehen in erster Linie die Geschichte von Elva ist, ihr Name auf dem Cover größer geschrieben wird, ist es doch gerade aus der Sicht von Stranger interessant. Denn die Perspektive eines Täters wird in vielen Vergewaltigungsfällen ignoriert. Das liegt einerseits an der Schwere des Verbrechens. Aber auch daran, dass Vergewaltigungen noch immer als Frauenthemen verhandelt werden. Als etwas, vor dem sich Frauen schützen müssen – als gehöre es zum Leben halt irgendwie dazu.
Aber Vergewaltigungen werden von Männern begangen, nicht von Monstern. Sie geschehen nicht nur in dunklen Gassen, sondern in Beziehungen, Freundschaften und Ehen. Es liegt eigentlich nahe, verstehen zu wollen, was Täter antreibt. Niemand kann von einem Opfer verlangen, Empathie für seinen Täter aufzubringen, Elva, die es getan hat, verlangt das auch nicht. Aber eine Gesellschaft, die verhindern will, dass Männer zu Tätern werden, sollte sich vielleicht damit beschäftigen.
Weder haben Elva und Stranger ein Handbuch für den Umgang mit Vergewaltigungen geschrieben, noch sprechen sie sich für Straffreiheit in Fällen sexueller Gewalt aus. Diese öffentliche Anprangerung der Täter soll jedoch Männer davon abhalten, zu Tätern zu werden.