Kritik: In the Heights | Das beste Musical seit „Rocketman“

Im Jahr 2021 werden wir mit besonders vielen Musicals überhäuft. Dabei wird „In the Heights“ definitiv heraus stechen. Warum, verrate ich euch in meiner Kritik.
Inhalt
Bodega-Besitzer Usnavi (Anthony Ramos) lebt in Manhattans Nordspitze, den Washington Heights. Wenn er nicht gerade in seinem Laden steht, kümmert er sich um die alte kubanische Dame aus dem Nachbarhaus, himmelt das hübsche Mädchen aus dem benachbarten Schönheitssalon an und träumt davon, im Lotto zu gewinnen. Mit dem Gewinn würde er an die Küste seiner Heimat ziehen, der Dominikanischen Republik. In diesem besonders heißen Sommer kehrt Nina (Leslie Grace), eine Jugendfreundin von Usnavi, nach ihrem ersten Jahr am College mit überraschenden Neuigkeiten zu ihren Eltern in die Nachbarschaft zurück. Die haben bisher alles dafür getan, um ihrer Tochter ein besseres Leben zu ermöglichen. Nicht nur Nina und Usnavi, auch viele andere in der Nachbarschaft kämpfen mit sozialer Ungerechtigkeit, hoffen auf eine bessere Zukunft und träumen von der großen Liebe. Sie singen und tanzen in ihrer Lebensfreude vereint in den sonnengetränkten Straßen des Big Apple.
Kritik
Erinnern wir uns einmal an die besten Musicals der letzten Jahre zurück. Das war definitiv einmal „La La Land“, „Rocketman“ und im weiten Kreis gehört auch „The Greatest Showman“ dazu, auch wenn dessen Handlung sehr vereinfacht und simplifiziert wurde. „In the Heights“ ist der neue Film von dem Team hinter „Hamilton“. Das allein sollte schon Lust auf diesen Film machen. Denn alle, die genau so etwas wollen, bekommen das auch. Nicht als Bühnen-Musical, sondern als richtigen Film. Ihr solltet eure Vorfreude aber in einem einzigen Punkt dämpfen. Warum verrate ich euch erst später. Vorher würde ich viel lieber über die wirklich gelungenen Momente reden.
Die Kuh steht im Raum, also müssen wir sie auch ansprechen. Die Musik in „In the Heights“ ist der absolute Wahnsinn. Wieder einmal hat sich das Team hinter „Hamilton“ selber übertroffen. Von der ersten bis zur letzten Nummer sind alle eingängig, fantastisch komponiert und geschrieben. Um aber Musik eingängig zu machen, braucht man auch Musiker, die es wunderbar singen können. Dafür wurden sich einige fantastische Schauspieler ins Boot geholt, die jeden Song zu etwas Einmaliges machen. Wer bei dem ersten Song „In the Heights“ nicht schon wippend im Kinosessel sitzt, der hat wahrlich den Verstand verloren. Doch auch die folgenden Lieder sind bis ins kleinste Detail wunderbar ausgearbeitet. Dabei meine ich gar nicht die Umsetzung. Viel mehr die eigentliche Message. Denn wie bei „Hamilton“ werden viele Informationen gerade über die Songs vermittelt. Wer also gutes Englisch versteht, dürfte es auch verstehen. In der deutschen Fassung dürften aber Untertitel eingebaut werden.
Ich habe es in einem Nebensatz schon angedeutet. Auch die Darsteller sind traumhaft besetzt. Es gehört ja immer sehr viel dazu, die richtigen Darsteller für die richtigen Rollen zu finden. Regisseur Milos Forman (Einer flog über das Kuckucksnest), sagte einmal, dass der eigentliche Film fertig sei, wenn das Casting erfolgreich beendet wurde. Die Darsteller sind nämlich die halbe Miete. Regisseur Jon M. Chu hat seine Darsteller so gut im Griff und weiß wunderbar, wie er sie zu inszenieren hat. Anthony Ramos, Corey Hawkins oder Leslie Grace wissen, wie sie ihre Charaktere gescheit spielen müssen. Sie geben ihren Charakteren wesentlich mehr persönliches Futter mit, als sie von dem Drehbuch bekommen. Das sorgt für eine viel größere Bereitschaft, sich auf sie einzulassen. Sie sympathisch zu finden. Daher sind alle Charaktere in dem Film so liebevoll und herzlich. Weil wir genau das Gefühl haben, sie zu kennen oder sie nachempfinden zu können. Die Darsteller sind da am wichtigsten. Ohne diesen genialen Cast hätte der Film sicher nicht ansatzweise so gut funktioniert. Gerade Anthony Ramos und Olga Merediz sind der helle Wahnsinn. Frau Merediz dürfte für ihre herzergreifende Darbietung sicherlich eine Oscar-Nominierung bekommen. Wenn sie es schaffen, den Film lange im Gedächtnis der Academy zu behalten.
Neben der ganzen musikalischen und schauspielerischen Komponente gibt es noch eine weitere, die für dieses Genre sehr wichtig ist. Denn wie Musicals in der Vergangenheit gezeigt haben, müssen sie bunt, überschaubar und groß inszeniert werden. Am besten mit Bildern, die man sich als Standbild an die Wand hängen könnte. „In the Heights“ ist wahrlich kein übertrieben hübscher Film. Doch es gibt immer wieder Bilder und Momente, bei denen man staunen möchte. Man sich fragt, wie haben sie das jetzt gemacht. Sie verzaubern einen für kurze Zeit, machen Spaß und entführen uns in eine knallbunte andere Welt, die wir so nicht erleben würde. Das ist alles quietsche Bunt, eigentlich viel zu kitschig, aber so wunderbar bebildert, dass das alles in den Hintergrund rutscht. Wichtig sind die tollen Choreos in der Verbindung mit den toll geschriebenen Songs. Was will man mehr?…
Das ist eigentlich eine sehr valide Frage, die ich euch direkt beantworten kann. „In the Heights“ glänzt mit Musik, Darstellern, Kamera und Inszenierung. Hat aber mächtige Probleme bei der Story. Im Kern wird wieder einmal nur eine Romanze erzählt. Das wird zwar angereichert mit Hintergrund der Charaktere und das Thema des Platzes im Leben. So etwas haben wir schon zuhauf gehabt und da bildet „In the Heights“ leider keine positive Ausnahme. Wo „La La Land“ am Ende noch ein überraschendes, „was wäre wenn“-Konzept aus der Tasche zieht, wird hier die Kitschkanone bis zum Erbrechen abgefeuert. Das passt zwar zu den Songs und den Bildern, die Handlung kann aber über die ganze Laufzeit nicht packen. Da sie einfach viel zu konventionell und einfach gestrickt wirkt.
Fazit
„In the Heights“ wird in den USA gefeiert. Das ist in anbetracht der traumhaften Songs, der visuell einwandfreien Umsetzung und den toll gecasteten Schauspielern auch verständlich. Würde die Handlung nur nicht so einfach vor sich hin plätschern und dem Genre etwas neues hinzufügen, dann wäre „In the Heights“ vielleicht eines der besten Musicals aller Zeiten. So ist er immer noch verdammt gut, leider muss man hier und da einen Abstrich machen.