KRITIK: Call me by your Name | Wunderschön bebildertes Drama voller Tragik und Authentizität

Im März 2018 werden die 90. Academy Awards verliehen. „Call me by your Name“ ist in einigen Kategorien, darunter Bester Film, nominiert. Wir erklären euch jetzt, wieso Call me by your Name auf jeden Fall zu einem der stärksten Oscar-Filme 2018 gehört
INHALTSANGABE
Norditalien, 1983: Familie Perlman verbringt den Sommer in ihrer mondänen Villa. Während der 17 Jahre alte Sohn Elio (Thimotée Chalamet) Bücher liest, klassische Musik hört und keinen Flirt mit seiner Bekannten Marzia (Esther Garrel) auslässt, beschäftigt sich sein Vater (Michael Stuhlbarg), ein emeritierter Professor, mit antiken Statuen. Für den Sommer hat sich der auf griechische und römische Kulturgeschichte spezialisierte Archäologe mit Oliver (Armie Hammer) einen Gast ins Haus geholt, der ihm bei seiner Arbeit zur Seite stehen soll. Der selbstbewusste und attraktive Besucher wirbelt die Gefühle des pubertierenden Elio ganz schön durcheinander. Während sich langsam eine Beziehung zwischen den beiden anbahnt, merkt Elio, dass er trotz seiner Intelligenz und der Bildung, die er dank seinem Vater und seiner Mutter Annella (Amira Casar) genießt, noch einiges über das Leben und die Liebe lernen muss…
KRITIK
Bei den Oscars fokussiert man sich aktuell sehr stark auf Filme, die ein Zeichen setzen. Das ist auch einer dieser Gründe, warum Get Out sowohl als bester Film und für die beste Regie nominiert ist. Gleiches kann man von „Call me by your Name“ halten. Hier geht es um einen Jungen namens Elio, der nach und nach herausfindet, dass er auf Jungs steht, und sich Stück für Stück dem Archäologen Oliver nähert. 2017 hatte „Moonlight“ das Glück, den Oscar als bester Film mit nach Hause zu nehmen. Klar, der Film war stark und umwerfend gespielt, der beste Film aber war es am Ende nicht. Call me by your Name hat eine ähnliche Geschichte über einen Jungen, der seine Sexualität ergründet, genauso wie bei „Moonlight“. Die Vermutung meinerseits ist daher, dass ich denke, dass „Call me by your Name“ den Oscar als besten Film 2018 gewinnen wird. Die Frage aber ist jetzt, würde er es zurecht gewinnen?
Für meinen Teil kann ich nur sagen, ja, ich wäre damit zufrieden, wenn der Film den Oscar als bester Film gewinnen wird. Jedoch ist er nicht der beste Oscar-Film im Jahr 2018. Filme wie „Three Billboards“ oder auch „Shape of Water“ haben mehr Raffinessen, sind ausgeklügelter, origineller und vor allem deutlich frischer. Call me by your Name ist ein Weltklasse-Film, bitte nicht falsch verstehen. Er ist aber ein sehr typischer Oscar-Film. Call me by your Name besticht mit wunderbaren Kameraaufnahmen. Die Landschaft von Italien wird wundervoll in Szene gesetzt. Jeder, der danach keine Lust auf einen Italienurlaub hat, sollte sich untersuchen lassen. Sayombhu Mukdeeprom schafft es hier, magische und märchenhafte Bilder einzufangen. Die Stadt ist traumhaft, die Landschaft läd zum Träumen ein und auch die interessanten Einstellungen bei Gesprächen ist herausragend. Der Film wendet einen Trick an, um die Szenen noch bedeutender zu machen. Er sucht sich besondere Spots, aus denen man alles erkennen kann. Dann lässt er für einige Zeit die Kamera einfach stehen.
Es gibt eine Szene im Film, in der Elio und Oliver zusammen Fahrrad fahren. Dabei bleibt die Kamera neben einem Pfad stehen und lässt sie ca. 1-2 Minuten einfach stehen. Dabei kann man sehen, wie sie sich immer weiter entfernen und dem Horizont entgegen fahren. Die Momente sind sehr bedeutungsschwanger. Hier wird es aber nicht extrem ausgereizt mit dieser Technik, wie beispielsweise bei „Toni Erdmann“, der das so gut wie immer macht, um einer Szene mehr Bedeutung zu geben. Mukdeeprom setzt diese Technik nur in besonderen Momenten ein, die etwas bedeuten. So, dass es nie wirkt, als sei der ganze Film damit durchzogen. So wirkt sich der Zuschauer nie erschlagen oder gelangweilt, da es eine wunderbare und interessante Abwechslung in der Cinematography gibt.
Die Abwechslungen in der Kameraarbeit lassen auch genug Raum, um dort wunderbare Musik einzubauen. Der Film hat wunderbar ruhige, zwischen den Zeilen spielende Klänge, die sich auf die Nerven der Zuschauer legen und diese spürbar beruhigen. Man kann sagen, der Film könnte einen langweilen. Und ja, ich verstehe es, wenn jemand sagt, dass ihn der Film gelangweilt hat. Dazu trägt die Musik die meiste Zeit bei, da sie sehr ruhig und melancholisch angehaucht ist. Wer eher auch elektronische Bässe oder Gitarrensolo steht, sollte sich vielleicht etwas anderes ansehen. Call me by your Name ist nämlich ein äußerst ruhiger Film, auf den man sich definitiv einlassen muss. Bevor viele von euch jetzt aber sagen „Musik ist aber nicht allein daran schuld, dass ein Film langweilt“, dem kann ich beipflichten und sagen, ja, ein Film ist nicht gleich langatmig oder langweilig, weil die Musik nicht stimmt.
Eine Kritik ist ja immer sehr subjektiv, dabei geben wir unsere Meinung wieder, um anderen Menschen zu sagen, ob der Film jetzt gut oder schlecht ist. Für mich persönlich ist „Call me by your Name“ kein langweiliger Film, sondern eine aufregende Reise von einem Jungen, der nach und nach seine Sexualität auf bemerkenswerte, authentische Weise ergründet. Was Regisseur Guadagnino hier auf die Leinwand bannt, ist Kunst auf höchstem, cineastischen Niveau. Er lässt seinen Charakteren viel Luft zum Atmen, lässt sie innerhalb der Geschichte reifen und entwickeln. Der Film bemüht sich, eine glaubwürdige und realistische 80er-Jahre-Atmosphäre aufzubauen, die jeder Zeit auf den Zuschauer übergeht. Der Film atmet die 80er-Jahre und bringt sie glaubwürdig auf die Leinwand. Die Charaktere wie z.B. Elio und Oliver oder auch Elio’s Vater Mr. Perlman (gespielt von Michael Stuhlbarg) sind wunderbar austariert und lassen uns das Herz spürbar aufgehen. Das große Kredo scheint „Glaubwürdigkeit“ und „Authentizität“ gehießen zu haben. Denn keiner der Charaktere fällt in irgendeiner Weise negativ auf. Ganz im Gegenteil, wir sympathisieren mit allen von ihnen. Wir wollen sie kennenlernen, mehr über ihr eigentliches sein erfahren. „Call me by your Name“ zeichnet uns Charaktere, die ich seit langer Zeit nicht mehr so menschlich und greifbar empfunden habe wie bei „Call me by your Name“.
Eine gute Regie besticht aber nicht nur durch die eigentliche Inszenierung der schon tadellos geschriebenen Geschichte, wo „Call me by your Name“ auch auf jeden Fall den Oscar für das beste adaptiere Drehbuch bekommt. Doch darauf wollte ich nicht hinaus. Meine Intention bringt mich dazu, über Timothee Chalamet zu reden, der für meine Begriffe die beste männliche schauspielerische Leistung abliefert, die ich seit Jahren gesehen habe. Aktuell gilt Gary Oldman für „The Darkest Hour“ noch als großer Favorit. Wenn es nach mir geht, dürfte Chalamet auf jeden Fall gewinnen. Seine Darstellung von Elio ist extrem authentisch, ehrlich und glaubwürdig. Er geht voll in dieser Rolle auf und lässt uns voll in seiner Rolle versinken. Ehrlich, zaghaft und menschlich, so lässt sich seine Rolle am besten beschreiben. Aber seine Darstellung wird von Armie Hammer komplettiert, der hier den Archäologen Oliver spielt, der für einige Zeit nach Italien kommt und bei der Familie von Elio wohnt. Er ist der deutlich ältere Lover von Elio und bringt eine wunderbare Intensität an den Tag. Locker und leicht spielt er diese Person, die nicht besser hätte gespielt werden können. Er macht die Rolle von Chalamet erst komplett und lässt sie wirklich wirken. Ohne ihn wäre es sicher keine Liebesgeschichte und der Film würde überhaupt nicht funktionieren. Der größte unterbewusste Held des Filmes ist aber Michael Stuhlbarg, der mir mit seinen Monologen öfters die Tränen in die Augen gejagt hat. Dieser Moment mit Chalamet und Stuhlbarg am Ende des FIlmes hat mich weinen lassen wie ein Schlosshund im Regen. Nicht nur inszenatorisch, von der Kamera und der Geschichte und auch nicht von der schauspielerischen Leistung wird man enttäuscht.
FAZIT
„Call me by your Name“ ist ein traumhaftes, exzellent bebildertes Drama, was jeden noch so harten Kern zum Schmelzen bringt. Der Film ist ehrlich, tragisch und vor allem mehr als nur menschlich. Besonders am Film gefallen hat mir die darstellerische Leistung und die Inszenierung, die sich spürbar darum bemüht, eine authentische und glaubhafte Geschichte und Charaktere zu erzählen. Alles in allem ist „Call me by your Name“ einer der besten Oscar-Nominierten des Jahres 2018 und auch einer der besten Dramen, die wir so die letzten Jahre vor den Latz gesetzt bekommen haben.